Freitag, 24. Oktober 2008

die schönheit ist eine frau

Nur noch eine Stunde bis zu meinem Date – und jetzt das!

Zwei Stunden bin ich durch meine Wohnung gerannt, habe hundert meiner Lieblingsoutfits mit meinen hundert Lieblingsschuhen kombiniert, bis endlich neben allen mir bereits leidlich bekannten Problemzonen auch jene kaschiert war, von der ich erst letzte Woche in einem Frauenmagazin gelesen habe: das Kinn! Stehe seitdem jeden Morgen im Bad, schlage mit zwei Fingern wie eine Bekloppte gegen meinen Hals und hoffe, dass mich niemand beobachtet...

Also noch eine Stunde, denke ich. Ein letzter prüfender Blick auf Heidi. Die steigt irgendwo in einem hippen Vorortviertel von New York zwischen Wolkenkratzern aus einem Taxi, graziös wie eine Grazie, nach einem langen harten Arbeitstag perfekt gestylt. Wie macht sie das bloß?!

Ich trage fast identische Stilettos, ja, lächle eben noch durch meine Ralph-Lauren-Sonnenbrille, fühle mich toll! Auch wenn es in Bremen mal wieder regnet und nach dem Shopping am Wochenende noch ein langer, entbehrungsreicher Monat vor mir liegt. Egal! Ich summe einen Song von Melissa Etheridge, gehe ins Bad, trete vor den Spiegel, und dann das!

Aus dem Spiegel lächeln mir gequält die Schäden eines acht Stunden Tages entgegen: matte Augen, eingefallene Wangen und – sind das etwa erste Anzeichen von Tränensäcken?!

Ich fühle Panik in meinem Bauch aufsteigen. Als wenn der nicht schon groß genug wäre... Dabei sollte doch heutzutage jede Frau alles erreichen können, wenn sie nur will: Merkel fällt mir ein und ... und ... Mist! Aber es gibt schöne Frauen, die etwas erreicht haben, da könnte ich Hunderte aufzählen. Für schöne Frauen ist ja alles leichter!

In meiner Vorstellung bewege ich mit der rechten Hand einen Mauszeiger über den Spiegel. Mit zwei Mausklicks sind die Schluchten unter meinen Augen verschwunden, ich helle meinen Taint zwei Stufen auf, nein, besser drei, entferne die Leberflecke, über die die Jungs in der Grundschule schon gelacht haben, und wo ich schon mal dabei bin, schnell noch mein Kinn, diese "Problemzone für Frauen mittleren Alters", schon ist es runder. Da kann ich meinen Termin beim Chirurgen ja wieder absagen...

Ähm... Musste es diesen Herbst runder oder doch eher symmetrischer sein? Oscar Wilde sagte, Mode sei so unerträglich hässlich, dass wir sie alle Halbjahre ändern müssen. Vielleicht hat mein Busen ja dann im Frühjahr schon die richtige Größe... Ich schaue auf die Uhr. Eine halbe Stunde – ich muss mit den Phantastereien aufhören!

Wie ein Malermeister in einem Altbau mit Stuckverzierung trage ich in meinem Gesicht Schicht um Schicht Farbe auf. Zuerst den Concealer, dabei bemerken: Auch schon lange nicht mehr bei der Microdermabrasion gewesen... Schnell Puder und Rouge... Etwas mehr Farbe an den Augen heute, diese Augenringe – bringe Lidstrich und -schatten in farblichen Einklang mit meinem Rock. Fast bin ich wieder sechszehn, meinem damaligen Vorbild Claudia Schiffer nacheifernd. Als die zu alt wurde, wurde sie durch ein jüngeres Vorbild ersetzt. Jetzt erst fällt mir auf, dass das die Sache nicht gerade einfacher macht...

Was für einen Bauch die Heidi trotz ihrer drei Kinder noch hat. So einen Bauch hatte ich nicht mal, als ich selbst noch ein Kind war... Dafür habe ich mehr Erfahrung im Malen als ein Malermeister mit 30 Jahren Berufserfahrung... Aber besser als den ganzen Tag zu stricken. Weder mein Date, noch mein Chef würden das bemerken. Wenn ich hingegen umwerfend aussehe...

Argh! Die Falten zwischen meinen Augenbrauen bringen mich zur Verzweiflung! Immer wenn man mal Botox im Haus braucht, ist gerade keines da.

Mein Date wartete bestimmt schon. Er braucht sich nicht drei Stunden vorm Spiegel, um Humor zu proben... Männer – wenn sie schön sind, sind sie entweder vergeben oder fliegen als Astronauten gerade zum Uranus. Naja, hauptsache sie sind so reinlich, dass sie einmal am Tag das Wort 'duschen' zumindest ansatzweise denken, denke ich. Im Grund wird ein Mann doch erst richtig attraktiv, wenn er sich drei Tage nicht rasiert oder gewaschen hat, denke ich. Das ist wie mit altem Käse, der an Charakter gewinnt. Differenz nennt man das heute. Die Schöne und das Biest. Das Phantom und die Oper. Edmund und Karin Stoiber. Oder umgekehrt.

Oh, so spät schon!

Ich haste so schnell die Stilettos es zulassen die Treppe hinunter, nehme ein Taxi, bitte den Fahrer gleich, er möge doch etwas schneller fahren... Er schaut mich von oben bis unten an und schnauft dann: "Immer schön langsam mit den alten Pferden". Dann fährt er los, so langsam, dass ich in der Zeit zwölf mal auf meine Uhr schaue. Heidi Klum wäre das nicht passiert...

Keine Kommentare: