Montag, 30. Juni 2008

nie wieder deutschland

(zitat ende) bei einer ersatzhandlung wird ein unbefriedigtes bedürfnis durch verschiebung des äußeren handlungszieles gestillt. wenn also zb die volksseele die leerstelle einer durch umbruch entstandenen demokratischen führungsschwäche nach jahrhundertelanger unterdrückung durch bedenkenlose einwilligung in militärisch diktarorischen führungsstil füllt, oder eine andere demokratie, deren elterngeneration noch das dankbar knappe halbfinalscheitern eines weltumspannenden, allen genetisch ausgezeichneten bevölkerungsteilen zugute kommenden reiches erlebte, das durch rituale und offen zur schau gestellte gemeinschaftssymbolik den menschen ein gefühl der befreiung von finanzieller und innerer bedeutungslosigkeit vermittelte, das ihnen und ihren kindern und kindeskindern eine feste position in einem gesichterten, durch politische mittel nach osten erweiterten lebensraumes in einer gleichgeschalteten unterschiedslosen arbeitendenklasse aus herrenmenschen ermöglichte, eine demokratie, welche dieses mit der muttermilch vermittelte ideal in der äußerlich harmlosen aber doch mit gleicher verbissenheit geführten totalen kampfeslust in der kollektiven einheit eines kriegshaufens unter einer führerpersönlichkeit in dem wettkampf der länder zur bedeutungsrückgewinnung in einer globalisierten welt zu verwirklichen versucht. wenn nun ein trainer und eine mannschaft, die schlecht spielte, aus diesem verlorenen krieg zurückkehren, in den alle gezogen sind, die bereitwillig fahnenschwenkend und raum und gedanken im öffentlichen raum einnehmend in großen, ritualisierten massenkundgebungen blind den befehlen folgten, die durch spielzüge, erfolgreiche und erfolglose angriffe vorgegeben wurden, und nun diese kriegsheimkehrer mit einem massenauflauf feiern, wie sie in offenen wagen durch die hauptstadt fahren, auf einem balkon stehen und der masse zujubeln, als hätte es guernika nie gegeben, so können wir einen eindruck davon gewinnen, wie das deutsche volk sich nach größe, nach führung, nach bedeutung sehnt, die ihnen dieser adolf löw und sein stab aus hochrangigen dfb-fußballern für die dauer eines zwölf jahre währenden sommermärchens gab, dass sogar die aktuelle politische führung in diesen willfährige diener der selben sache sieht: 79,8 prozent der bevölkerung und das gefühl von macht des einen befehls: jubeln und fahne schwenken und sich als das land wissen, das an die spitze der welt gehört und trotz der bedingungslosen niederlage dort steht, über allen anderen ländern und menschen, über alles auf der welt.

Sonntag, 29. Juni 2008

Der Abend

Schweigt der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewusst,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.

(Joseph Freiherr von Eichendorff)


Einleitung

Das Gedicht „Der Abend“ wurde zuerst im Jahre 1826 ohne Titel im Rahmen von Eichendorffs Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ veröffentlicht. Den Gedichttitel erhielten die Verse in gedruckter Form erstmals in einer Gedichtsammlung von 1837.
Im Taugenichts taucht es gleich zweimal auf. Zunächst in Kapitel 4, gesungen von Herrn Guido auf dem Balkon eines italienischen Wirtshauses, gesungen mit einer engelsgleichen Stimme in eine Gegend hinein, die von Mondenschein „säuselt und zittert“. Durch die zweiten Verwendung in Kapitel 10 wird das Gedicht in Manier des romantischen „Claire-obscure“-Topos verwendet: Zwei Gestalten gleichen einander, ähneln sich, wodurch sie jedoch ihre wahre Gestalt verbergen, was zu folgenreichen Komplikationen führen kann. In diesem Fall glaubt der Protagonist wieder die Stimme von Herrn Guido zu hören, läuft ihm durch Rosenhecken entgegen, findet sich dann aber an einem Schwanenteich im Abendrot vor seiner Liebsten wieder, usw.


Form des Gedichts

Die sieben Verse dieses volksliedhaften, einstrophigen Gedichts bestehen aus gleichmäßig 4-hebigen Trochäen mit umarmendem Reimschema abbacca, mit drei männlichen Kadenzen und eingefaßten, weiblich endenden Paarreimen, welche insgesamt einen einzigen Satz bilden.

So kunstvoll gefertigt, so ruhig und harmonisch, geradezu wiegenliedhaft das Gedicht durch seine Gestalt auch wirkt, es enthält gleich im erste Vers zwei Widersprüche: Zum einen wird die den Menschen innewohnende Unruhe durch ihre Abwesenheit dargestellt; zum anderen wird das zur folgenden, ruhig-getragenen Abendstimmung Kontrafaktische (d.i. die Hektik der Menschen) durch die einzige auffallende Klangfigur des Gedichts eingefangen: nämlich durch die Darstellung der „laute[n] Lust“1, der einzigen Alliteration im Text, welche inhärent einen klanglichen Kontrapunkt zum eigentlichen Aussagegehalt der Metapher bildet, also einen Widerspruch in sich selbst. Durch diese Besonderheit verbleibt die semantisch-auditive Paradoxie der "laute[n] Lust" über den Grenzzaun, den der Doppelpunkt am Ende des ersten Verses bildet, hinaus, tatsächlich noch wie ein Echo (oder um im Bild zu bleiben: wie ein Wetterleuchten) im Gedächtnis des Lesers haften.

Es werden also gleich zu Beginn Gegensatzpaare aufgestellt, die das Gedicht durchziehen und textintern verzahnen, es hin und her wiegen lassen.

Direkte Gegensatzpaare sind:
Schweigen – Laute Lust [Vers 1]
Menschen – Erde [Verse 1 und 2]
Rauschen der Bäume – kaum bewusst (Träume) [Verse 2 und 3]
Laute Lust – Leise Schauer [Verse 1 und 6]

Erweiterte Oppositionspaare wären:
Erde (Wirklichkeit) – Traum [Vers 2]
Hektik der Menschen – Rauschen der Natur [Verse 1 und 2]
Größe (der Welt) – Vergänglichkeit (des Menschen) [Verse 1 und 7]
Schweigen – Wetterleuchten (in der Brust) [Verse 1 und 7]
Tag – Nacht (im Übergang des Abends) [Vers 1 und Verse 2 bis 7]

Wenn man unter „Abend“ den Zeitabschnitt versteht, der mit der Dämmerung beginnt und fließend in die Nacht übergeht, beschreibt dieses Gedicht jenen Übergang, in dem es noch leicht dämmert, die Dunkelheit aber bereits hereingebrochen ist, erkennbar durch das Wetterleuchten, welches zugleich kennzeichnend für die Jahreszeit des Sommers bzw. Hochsommers stehen kann.

Wie hieraus eine direkte Verbindung zwischen Natur und lyrischem Ich (welches letztendlich auch zur Seite der Menschen gehört) entsteht, ist der kunstvollen Gestaltung des Gedichts zu verdanken.

Gleich im ersten Vers werden die Menschen an der Grenze zur eigentlichen Abendbeschreibung mit dem Doppelpunkt geradezu weggewischt und eine Szenerie gänzlich ohne Menschen geschaffen. Wir blicken auf eine vom Menschen befreite Erde, die von einer wunderbar traumhaften Stimmung gezeichnet wird, in deren Zentrum jedoch nichtsdestotrotz das Herz steht (in Mitte von Vers 4 und somit in der optischen Mitte des Gedichts).
Es sind Vokabeln des Augenblicks und der Dauer: „Rauschen“, „Schauer“, „Schweifen“, „Wetterleuchtend“, welche kurze, schnell vergehende Eindrücke beschreiben und das Gedicht bestimmen (gleich einem Aufblitzen am Horizont), ohne dabei jedoch eine dem Menschen eigene Vergänglichkeit auszustrahlen, sondern im Gegenteil zugleich Raum und Weite (auch zeitliche) evozieren: So rauscht die Erde mit „allen Bäumen“, „Träume“ und „Alte Zeiten“ sind gleichsam bestimmte wie unbestimmte Ausdrücke für etwas nicht Faßbares, Unbegreifliches, Andauerndes, ebenso wie das Wetterleuchten zwar sichtbares Zeichen ist, aber doch hinter dem Horizont in einer unerreichbaren Ferne verbleibt.

Trotz der schwulstigen Stimmung bleibt die Erzählhaltung des Gedichts distanziert, schwebend. Nur Ausdrücke wie „wie in Träumen“ und „wunderbar“ deuten auf das Vorhandensein eines lyrischen Ichs hin. Eine eindeutige Personifizierung erfährt nur „die Erde“, die „mit allen Bäumen“ rauscht. Das Menschliche des Betrachters bleibt innerhalb des Gedichts verborgen, bleibt auf das „Herz“, das genau im Zentrum, also im Herzen des Gedichts steht, und auf die „leise[n] Schauer“ in der Brust beschränkt, also auf die Empfindungen, welche eine direkte, aber „kaum bewußt[e]“ Verbindung mit der Natur eingehen, während die Hektik der Menschen, vor der das lyrische Ich geflohen sein mag, zwar am Rande verbleibt, aber von Anfang an „schweigt“.

Der „lauten Lust“ der Menschen wird die leise Lust des Herzens entgegengesetzt, welches im „kaum bewußten“ eine Kommunikation mit der Natur eingeht und auf der Flucht vor den störenden Einflüssen der Menschen sich selbst begegnet. Doch das lyrische Ich läßt sich nicht benennen, wird gleichsam zu einem kosmischen Ich, das sich in seinem elegisch-lyrischen Tonfall selbst genug ist und die Ruhe der Abendstimmung in sich aufnimmt. Das Schweigen, welches zugleich Ausgangspunkt und Voraussetzung ist, entwickelt sich durch die umfassende Wahrnehmung der Natur, des All-Eins-Seins des lyrischen Ichs mit der gesamten Erde, zu einem wortlosen Rauschen am Gedichtschluß, in der Brust situiert als Endpunkt, als Ziel. Ein Rauschen, welches gleichzeitig ein Geräusch ist und kein Geräusch, eine Aussage und keine Aussage, ein Lärm und (wie das Wetterleuchten) die Negation eines Lärms durch die Unhörbarkeit des Donners. Die meditative Aufhebung der Gedanken in einem gleichmäßigen Strom der Empfindung(en), welche wie die Gedankenformel „Alte Zeiten, linde Trauer“ in Zeile 5 gleichsam etwas bedeutet und doch nichts bedeutet; diese Formel schließlich setzt das lyrische Ich, auch durch die Doppelbedeutung des Wortes „linde“ in „linde Trauer“ (für einerseits 'sich weich anfühlend', 'mild'/'milde' und eben sein Homonym den 'Lindenbaum') mit der Natur gleich, indem es eben so, wie die Natur „wie im Traume“ „mit allen Bäumen“ rauscht.

So steht nicht nur der Abend am Übergang zwischen der Ordnung des Tages, der Vernunft und den gesellschaftlichen Konventionen der lauten Menschen auf der einen, und dem Entfliehen dieser in der Nacht, sondern auch das Herz, durch das diese Eindrücke gleichsam einem rauschenden Flusse von Eindrücken fließt.


Schluss

Bei „Der Abend“ handelt es sich also um ein romantisches Naturgedicht, bei dem von Natur nicht viel die Rede ist. Die Erde, ein paar Bäume (genau genommen alle) und etwas Wetterleuchten reichen aus, das gesamte abendliche Sujet mit den sehnsuchtsvollen Äußerungen des immanenten lyrischen Ichs zu füllen, das sich durch Wertungen und Empfindungen andeutet und doch aus jedem Wort spricht.

Es wird ein Bild am Rande der Nacht entworfen, bei dem sich erst entwickelt, worauf es dem Dichter ankommt, wenn die menschliche Umwelt gänzlich verstummt ist: Innerlichkeit.

Zwar klingt noch „laute Lust“, doch sie ist nicht mehr störend, ein ferner Wiederhall. Das Hektische der Menschen ist bereits so fern, dass es vom lyrischen Ich verklärt und poetisierend in Worte gefaßt werden kann, im Gegensatz zu dem, was in der Natur auf das Herz als Erkenntnis wartet: „Alte Zeiten, linde Trauer“ heißt es da nur. Diese Formel stellt in seiner ellipsenhaften Form eine Bildlichkeit dar, die sich nur schwer entschüsseln läßt, die man 'erfühlen' muss. Die Nostalgie, mit der die Vergangenheit betrachtet wird, verbindet sich kunstvoll mit den schwermütig-lustvollen Träumen des also besänftigten Schmerzes und stellt damit in einem einzigen, unvollständigen Satz dar, was die Thematik des ganzes Gedichtes ist: der Übergang vom Tag zur Nacht, der Abschied vom Licht, der Trost der Dunkelheit, eine Hymne an den Abend.

Der unbefriedigte Füllraum der Ellipse weist von dem im Zentrum der Abendwahrnehmung stehenden Herzen voraus auf die letzten zwei Verse des Gedichts, in denen das lyrische Ich seine Sublimation erfährt. Das Wetterleuchten liegt am Horizont, im Dunkeln, außerhalb des Artikulationsbereiches des lyrischen Ichs wie die unbewußten Träume, und ist doch sichtbar, dem lyrischen Ich in seiner unterschwelligen Trauer und seiner Flucht vor den Menschen und dem Tag ein neues Licht und neue Hoffnung, und in seiner Andeutung eine Ahnung dessen, was als Trost-Spendend begriffen wird:

Dass in der Natur ein verläßliches Gegenüber liegt, das dem Fühlsamen ein undeutlich reflektierender Spiegel geheimer Seelenbewegungen ist, eine Spiegelung, die ebenso zu verwirren wie zu entzücken vermag, und die noch weit über den Horizont des menschlichen Erkennens hinauszureichen imstande ist.

(Viele Interpretatoren fühlen sich berufen, in Anbetracht Eichendorffs verbürgter Christlichkeit diese Verweisstelle mit Gott zu füllen, doch die Transzendenz, mit der die Natur zu sprechen vermag, und die in ihrer schier unvorstellbaren Größe und Gewalt liegt, welche sich sowohl im "Kleinen", in der Zahl der Bäume, als auch im Großen, vor der schieren Unendlichkeit und Macht des Alls (also der Allmacht) äußert, verweist letztendlich nur und einzig zu einer Unbedeutendheit des Menschen und nicht im Umkehrschluß zu einem Verweis auf die Evidenz einer höheren Existenz eines gütigen Gottes.)

Samstag, 28. Juni 2008

bachmann

gerade durch die brüche zum realismus, zb durch die tatortbesichtigung eines einsturzgefährdeten hauses, brachte mich der text zu der überzeugung, dass er (rein) auf einer symbolischen ebene zu lesen sei. die liebe als rettung auf einer drehleiter aus einem brennenden haus zu betrachten, an deren ende das obdachlosenheim droht, ist ein sehr starkes bild für ein bedürfnis, auf einer flucht die fürsorglichen arme eines verständnisvollen feuerwehrmannes zu finden. die sprache der autorin, welche die fürsorgliche liebe aus einem roten meer in ein anderes rotes meer schildert, ganz wunderbar! dass die jury diese ebene nicht las, wundert mich. meine stimme für sudabeh mohafez! danke.

Dienstag, 24. Juni 2008

Das Karussell

Jardin du Luxembourg

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.

Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
nur dass er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
und hält sich mit der kleinen heißen Hand
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber -

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel . . .

(Rainer Maria Rilke)




Der weisse Elephant

Einleitung

„Das Karussell“ von Rainer Maria Rilke entstand im Juni 1906 und wurde zuerst 1907 in dem Band „Neue Gedichte“ veröffentlicht. Der Untertitel weist auf den Jardin de Luxembourg hin, einen heute staatlichen Schloßpark im 6. Arrondissement in Paris. Rilke schrieb dieses Gedicht während seines zweiten Paris-Aufenthalts von 1905 bis 1914, während dieser Zeit hat er unter anderem als Sekretär Rodins gearbeitet, eine Tätigkeit, die sein dichterisches Schaffen stark beeinflußt hat, und sich auch in diesem Werk äußert, das Rilkes Dinggedichten zugeordnet werden kann. Inhaltlich konfrontiert es die Perspektive des erwachsenen Betrachters mit der phantasievollen Welt der Kinder, und die Rolle des Dichters, die als ein Vermittler verstanden werden kann.

Form des Gedichts

In dem Gedicht wird in sieben Strophen unterschiedlicher Länge ein Kinderkarussell beschrieben, das sich in einem Park, dem Jardin de Luxembourg, dreht. Gegenstand und Ort werden bereits in der Überschrift geliefert. Die folgende formale Umsetzung spiegelt in künstlerisch herausragender Weise die inhaltliche Ebene wider.

So ist die erste Strophe, in der sich das Karussell noch langsam dreht, die formal längste. In acht Versen mit dem Reimschema A-B-B-A-B-C-C-B wird eine sprachliche, durch den wechselnden Paarreim ansteigende Kreisbewegung initiiert, welche bis zum Ende das Tempo des Gedichts bestimmt. So sind die ersten fünf Verse fünfhebige Jamben mit männlicher Kadenz, während die Verse 6 und 7 weiblich enden, als würden sich die Tiere des Karussells in die Luft heben, bevor mit dem Auftauchen des weißen Elefanten der Wechsel von männlicher und weiblicher Kadenz regelmäßig wird, und die Regelmäßgkeit erst am Ende des Gedichtes wieder durchbrochen wird, als die Geschwindigkeit am größten wird.
Die Drehbewegung wird zunächst durch Enjambements und ab der zweiten Strophe auch vermehrt durch die Wiederholung der Konjunktion „und“ verstärkt.
Während sich die erste Strophe mit dem rein gegenständlichen Objekt des sich drehenden Karussells beschäftigt, erwachen in den Strophen 2 und 3, welche jeweils dreizeilig sind, auch die Kinder auf den Karusselltieren zum Leben, ein blaues Mädchen und ein weißer Junge.

Die Versendung im zehnten Vers bleibt dabei zunächst offen und wird erst in Strophe 5 wieder aufgegriffen. Diese Strophe besteht aus vier Versen, auch als Zeichen, dass es sich bei dem Mädchen um ein älteres, fast schon dem Karussell entwachsenes handelt. Zusammen mit den einrahmenden Versen, die den weißen Elephanten in schneller-werdender Bewegung vor dem Auge des Betrachters entlangziehen lassen, könnte man den Mittelteil des Gedichtes auch zu vier Strophen mit jeweils drei Versen zusammenfassen und das Reimschema A-B-A C-D-C D-E-B B-E-D erhalten, so dass die Reime wie die Köpfe der unterschiedlichen Tiere vorüberziehen.

Die 7. Strophe wendet sich schließlich wieder dem Karussell zu, hebt sich allerdings inhaltlich von dem reinen Dinggedicht ab und einem Lyrischen Ich zu, das zwar verborgen bleibt, dem jedoch Farben „vorbeigesendet“ und ein Lächeln „hergesendet“ werden, und zwar in der selben kreisenden Bewegung, mit welcher das Karussell beschrieben wurde, und mit zunehmender Geschwindigkeit, welche durch die Reihung von Konjunktionen, die Aufzählung der Farben und Bewegungsverben erreicht wird. Das Reimschema A-B-A-B-A-A-B unterstützt diesen Effekt.

Am Ende stehen schließlich drei Punkte, als Zeichen, dass sich das „atemlose blinde Spiel“ über die Grenzen des Gedichts in jenen achten, fehlenden Vers hinaus unendlich fortsetzt.
Sprachliche Form
Auf sprachlicher Ebene wird das Karussell ebenfalls in aller Deutlichkeit präsentiert. Die Pferde, die aus einem Lande kommen, „das lange zögert, eh es untergeht“, beschreibt pointiert den Umstand der optischen Bewegung der Tierfiguren auf der Kreisbahn, die zunächst schnell vorüberziehen und dann scheinbar auf der Stelle stehen, während sie sich nach hinten bewegen, bevor sie schnell hinter dem Karussel verschwinden.

Besonders auffallend ist der weiße Elefant, der in seinem Vers sehr sperrig daherkommt und das Gedicht durch sein wiederholtes Auftauchen sicht- und hörbar gliedert. Zwischen den Pferden, dem Hirsch und dem roten Löwen kommt er auch farblich auffällig daher. Nur der weiße Junge scheint ihm irgendwie zu ähneln; der reitet aber lieber, vertieft in sein Spiel, auf dem roten Löwen, im Gegensatz zu den weiblichen Kinder-
fi­guren aktiv in seine Umgebung eingreifend.
Weiße Elefanten sind in Thailand noch heute heilige Tiere und allein Königen vorbehalten. Auf dem
Ka­russell aber scheinen sie einsam, fast unbeachtet ihre Bahn zu ziehen, fremde Exoten, deren Wert unbekannt bleibt.

Bis hin zur letzten Strophe entsteht ein Gesamtbild aus zunächst additiv aneinandergereihten Details, die einerseits für sich stehen, sich dann aber zu einem Gesamtbild aus Farbimpressionen, Bewegungen, auf­blitzendem Lächeln vermischen. Durch das Einbeziehen eines abseits stehenden Lyrischen Ichs wird die Blickrichtung am Ende schließlich auf die symbolische Ebene gerichtet.

Das Gedicht wird von vier Arten von Menschen bevölkert: dem blauen Mädchen in Strophe 2, das noch „festgeschnallt“ ist, versunken in der Phantasie; dem weißen Junge in Strophe 3, der mit der „heißen Hand“ aktiv in seine Phantasiewelt eingreift; die jungen Mädchen, die eigentlich schon zu alt sind und denen das Abtauchen in die Phantasie-Welt nicht mehr gelingt und die statt dessen aufschauen, „irgendwohin, herüber -“ in die Welt der Erwachsenen; und schließlich dem Lyrischen Ich, das außerhalb des Kreises steht und sieht, wie das Karussell sich dreht, immer schneller, ohne ein Ziel. Leben und Karussell stehen in diesem Zwiespalt zwischen lebendiger Kinderwelt und dem blinden Spiel der Erwachsenen.

Schluss

Das Lyrische Ich erkennt die Welt, außerhalb des Kreislaufes stehend, als Blendwerk, als noch zu formendes, „kaum begonnenes Profil“. Es befindet sich zugleich aber auch innerhalb des atemlosen Spiels, gespiegelt zum einen in dem weißen Elefanten, der wie ein Blatt Papier als Projektionsfläche von herrschaft­lichen Träumen und Sehnsüchten dient, zum anderen auch in dem weißen Jungen, welcher, während der Löwe ihm Angst macht, sich dennoch mit einer Hand festhält. Von den Farben, dem fremden Glück, einem Lächeln geblendet, letztendlich aber nicht getäuscht, bleibt der Dichter jener, der die Welt mit den Augen der Kindheit betrachtet, sie letztendlich durch die Form des Gedichts aber aktiv am Untergehen hindert.

Donnerstag, 19. Juni 2008

bannen

ob es in amerika auch fahrradkuriere gibt, die sich mit wehender landesfahne an ihrem transportrucksack durch den straßenverkehr schlängeln? eine nationalflagge dient immer der abgrenzung. zwei flaggen am auto sind ein unbeladener fahrradträger. sportliche wettkämpfe werden so zu politischen entscheidungen aufgewertet. nationale befindlichkeiten werden von einer unbedeutenen minderheit ausgetragen und von bevölkerungen mit bedeutung aufladen. rollenbilder aus verlierern und gewinnern werden generiert. der autokorso als militärische inbesitznahme der städte. aber vielleicht war jener fahrradkurier, der gestern durch oldenburg radelte, auf seinem drahtesel auch nur auf dem weg aus der schwärze der knechtschaft durch blutige schlachten ins goldene licht der freiheit. schon möglich.

Dienstag, 17. Juni 2008

das runde leder freiheit

als boris jelzin am 23. april 2007 in moskau starb, fragte ich mich sofort: was hat er gewußt? und wem wollte er es erzählen? in italien wird an einem neuen immunitätsgesetz gearbeitet, das verfahren gegen ministerpräsidenten wegen steuerbetrugs, schmiergeldzahlungen und veruntreuung wohl stoppen und die italienische fußballmannschaft bereits zwei wochen vor dem finale zum sieger der EM kühren wird. berlusconi hat die macht über 90 prozent der italienischen medien. der teufel scheißt bekanntlich immer auf den größten haufen. aber ein mulmiges gefühl hätte ich schon, wenn ich als schiedrichter die partie russland gegen schweden pfeifen müßte. unterschiedliche quellen sprechen übereinstimmend von mindestens 200 journalistInnen, die seit 1993 in russland ermordet wurden. seit amtsantritt putins beläuft sich die zahl auf mindestens 13. die zahl der ermordeten schiedsrichter kenne ich nicht. aber eine russische Mannschaft hat vor kurzem erst die champions league gewonnen. der russische staat hat die kontrolle über einen großteil der russischen medien. es ist also anzunehmen, dass europa bald drei europameister gleichzeitig kennen wird.

Montag, 16. Juni 2008

deutschland deutschland

bei der letzten bundestagswahl gab es bereits vor veröffentlichung der ersten hochrechnungen zahlreiche autokorsi in deutschen innenstädten. autos fuhren mit wehenden deutschlandfahnen, aus geöffneten fenstern schrien und jubelten die menschen den passanten zu, die fahrer hupten in einer tour und überall auf den plätzen feierte man das vorhandensein einer freiheitlichen, friedlebenden und funktionierenden demokratie mit der ganzen familie, mit nachbarn und freunden. auch in wahllokalen wurden gefeiert, per public viewing erlebten die menschen unterschiedlicher politischer lager auf großbildleinwänden die nach und nach einlaufenden ergebnisse aus den einzelnen wahlbezirken des landes. der knappe wahlverlauf tat sein übriges, jede aktion wurde kommentiert und bewertet und die spannung brachte bald, trotz der schwierigen wirtschaftlichen lage, in der sich viele menschen nach den hartz IV reformen befanden, die stimmung zum überkochen. überall wurde diskutiert und disputiert, bis spät in die nacht hinein. und auch am nächsten tag war die wahl und die damit verbundenen folgen noch in aller munde. und auch wenn das ergebnis knapp und das spiel schwach war, die menschen würden sich noch lange an diesen abend zurückerinnern.

Freitag, 13. Juni 2008

iren ist menschlich

beim verzehr von lakritze habe ich sogleich den geruch von ammoniak in der nase. komisch, meine ersten euro münzen holte ich am 1. januar 2002 in der stau apotheke. in einem europa der siebenundzwanzig erscheint mir das heute symptomatisch. doch obwohl seitdem alles teurer geworden ist und ich kein interesse an fußball habe, bin ich immer eine überzeugte europäerin geblieben. vielleicht weil ich die menschen liebe und mir keine kriege mehr vorstellen kann, außer denen, die sich um liebe und geld drehen. so sollte werbung verboten werden. wenn marlboro mich mit auf eine reise durch amerika (roadmovie) mitnehmen möchte (nur für raucher), dann klingt das für mich nach einem kostenlosen fünf-sterne aufenthalt in nevada während eines atombombentests. aber auch als multimillionär kann man schon ordentlich falschmeldungen unter die menschen streuen und meinungen manipulieren. das stelle ich mir auch ganz lustig vor. aber ein wort wie paradox stellt den normalen leser ja schon probleme. also nur drei worte in den eu-vertrag: es muss weitergehen. am besten mit ausrufezeichen! das wird immer verstanden. denn wie die emanzipation ist auch europa noch nicht am ziel angekommen. und an den nötigen veränderungen müssen die menschen beteiligt werden, gerade jene, die sich ausgegrenzt fühlen. doch gerade jene haben diese beteiligung nun erst mal wieder vom tisch gefegt, ganz nach dem motto: ich habe hier nichts zu sagen, also will ich auch nicht, dass man mich zu wort kommen läßt. ich lese william butler yeats und möchte den norden irlands irgendwann mit eigenen augen sehen. ich möchte mir ein eigenes bild machen. ich möchte dort so zuhause sein, wie ich in frankreich zuhause bin oder in prag. irgendjemand hat immer ein interesse an irgendetwas. aber ich versuche meine eigenen interesse zu verfolgen, welche sind: frieden, wohlstand und eine intakte natur. zumindest auf dem politisch. ich versuche mir selbstständig eine meinung zu bilden und würde mich freuen, wenn man mich häufiger nach meiner meinung fragen würde. aber einer von siebenundzwanzig will das nicht, weil ein viertel von einem das nicht will. aber mathematik war noch nie meine stärke.

Donnerstag, 5. Juni 2008

Sehr geehrter Herr Koch,

Schämen Sie sich!

Sonntag, 1. Juni 2008

zu meiner person

ich ist bestimmt keine besondere person. doch ich will sie an dieser stelle kurz vorstellen. vorzustellen wäre sie zb. wie ein wassertropfen auf einer heißen herdplatte, so bewege ich mich in alle richtungen, aber ich kehre immer wieder in die mitte zurück. es steht nicht in meinen papieren, aber ich bin gebildet, doch ich kämpfe seit zehn jahren um einen akademischen abschluß. ich bin ökologisch sozial, doch ich habe angst vor der gleichschaltenden doktrin des proletariats. dabei fehlen mir für viele selbstverständlichkeiten zeit und geld, weil mir zeit und geld und freunde fehlen. doch ich will mich nicht beschweren, weil die gesellschaft mir erfolgreich das gefühl vermittelt, für mein eigenes leben selbst verantwortlich zu sein. ich suche nichtsdestotrotz nach gerechtigkeit, doch ich bin mir weiterhin selbst die nächste. ich bin eine frau, doch bei allen vergleichswerten so häßlich, dass ich (wie viele andere) das gefühl habe, in wirklichkeit ein mann zu sein, oder zumindest wie ein mann wahrgenommen zu werden, was mich zu einer selbstbewußten frau macht, ohne selbstbewußt und ohne eine frau zu sein. ich lese viel, doch ich vergesse noch mehr als ich gelesen habe. darum muß ich immer wieder von vorne anfangen zu lesen, um meine eigenen schlüsse zu ziehen. doch ich finde keine struktur, weil ich eine dekonstruktivistin bin. ich bin postmodern, doch romantisch. stets nach vorne gewand, doch irgendein tag in meiner vergangenheit gab mir einst das gefühl, angenommen zu sein und gebraucht zu werden. deshalb bin ich noch immer auf der suche, doch das gefundene ist mir meistens zu wenig. doch so unzufrieden ich auch bin, mit der gesellschaft, der welt, dem leben, das leben ist auch mir eine schönheit.